Verena Wiechers: individueller Wohlfühlfaktor im Spannungsfeld zu SizeZero
Verena Wiechers ist Mutter von zwei Kindern, Dipl.-Sportwissenschaftlerin, Fitness- & Gymnastiklehrerin und spezialisiert auf den Fachbereich prä- & postnatales Training. Als Leiterin der AKADEMIE FÜR PRÄ- & POSTNATALESTRAINING bildet sie Hebammen, Physiotherapeutinnen und Trainerinnen aus.
Familienwiege: Verena du bist Sportwissenschaftlerin und hast mit deinem MamaWORKOUT-Konzept das Thema Sport in Schwangerschaft in das Gedächtnis der werdenden Mütter, Hebammen und Ärzten gebracht. Was hat dich dazu bewegt, dies zu tun?
Verena: Die Frage lässt sich ganz einfach beantworten. Ich bin damals schon Fitness-Ausbilderin gewesen und wurde dann selbst schwanger. Meine Fragen, wie ich weiterhin aktiv etwas Gutes für mich tun konnte, konnte kaum einer beantworten, also war ich gezwungen mich weiter zu informieren. Die Gynäkologen sowie auch Physiotherapeuten konnten mir kaum helfen, fündig wurde ich dann in der amerikanischen Fitnessbranche und im Kontakt mit zahlreichen Hebammen. Dieses Wissen und das Know-How von Hebammen und amerikanischen Fitnessexperten habe ich zu MamaWORKOUT-Konzept verknüpft. Diesen Schatz an Hintergrundwissen und Techniken pflege und erweitere ich weiterhin kontinuierlich im Austausch mit zahlreichen Experten.
Familienwiege: Neben dem pränatalen Fitnesstrainer kann man sich bei dir auch zum postnatalen Fitnesstrainer fortbilden, ein Konzept welches Rückbildung sowie Workouts mit Baby, ohne Baby Indoor wie Outdoor vereint. Viele Mütter möchten nach der Geburt wieder ihre alte Figur zurück. Neben Hochglanzmagazinen wird auch in Vlogs massiv mit SizeZero bei Müttern geworben. Was denkst du darüber?
Verena: Ehrlich? Ich dachte: Scheisse! Ich ärgerte mich darüber. Seit jeher haben wir Frauen dafür gekämpft uns zu behaupten, das Schicksal des Geschlechtes war immer, sich Fesseln anzulegen. Heute haben wir es geschafft, eigenständig zu sein und eine freie Wahl zu haben. Nun entscheiden wir uns wieder bewusst dagegen, indem wir uns selbst Fesseln anlegen wie SizeZero. Ich wünsche mir mehr individuelle Entscheidung für sich selbst und nicht von außen auferlegte Werte, denn mir liegt am Herzen, das sich Frauen nicht instrumentalisieren lassen. Das heutige Schönheitsideal ist wie damaliges Kasteien und Quälen für uns. Wir sehen nicht, das die Schwangerschaft und Geburt etwas so wunderschönes ist und unser Körper ein Wunder vollbracht hat. Das hinterlässt Spuren, das darf es auch! Schönheit ist nicht SizeZero, denn Schönheit liegt natürlich im Auge des Betrachters, deshalb ist es wichtig und gut, wenn sich jeder für sich schön fühlt. Jeder hat seine eigenen Maßstäbe für Silhouette, Vitalität und Aufrecht sein, eine dynamische Lebensweise. Mein Konzept vereint das, und dies ist genau der Sinn hinter meinem Konzept: Jede Frau hat ihren eigenen Wohlfühlfaktor und das ist in Ordnung so. Wir benötigen alte Fesseln wie vor 100 Jahren nicht und wir benötigen auch diese Unterwerfung nicht. Jede Frau sollte sich fragen: „Wie fühle ICH mich wohl und was benötige ich hierfür!“.
Familienwiege: Macht es dann deiner Meinung Sinn, in einem solchen postnatalen Angebot 500kcal und mehr zu verbrennen? Wo liegen die Gefahren?
Verena: Grundsätzlich spricht gar nichts dagegen, viele Kalorien zu verbrennen, sofern danach auch eine ausgewogene und ausreichende Zufuhr gewährleistet wird. Dies bedeutet: Ich verbrenne 500kcal, dann esse ich auch wieder 500kcal. Normales Abnehmen ist natürlich erlaubt, sofern wir nicht von krassen Reduktionsdiäten sprechen, sondern von der normalen, gesunden Abnahme nach der Schwangerschaft. Ich empfehle gesunde, ausgewogene Ernährung, keinesfalls krampfhafte Ernährungsvorgaben. Bei mir selbst z.B habe ich in beiden Schwangerschaften viel zugenommen. Ich habe früher viel intensiven Sport gemacht, in den Schwangerschaften aber Umfang und Intensität meines Trainings stark reduziert, ohne meine Nahrungsaufnahme zu reduzieren und hinzu kam die eine oder andere abendliche Naschattacke. Nach der Geburt habe ich mich wieder gut und angemessen bewegt, mehr auf meine Ernährung geachtet und ich hatte das Glück, durch das Stillen abzunehmen. So hatte ich nach sechs Monaten wieder 15kg runter, und war damit auf dem Ausgangsgewicht angekommen. Die Motivation der Mütter sollte nicht sein, einen Kurs mit Baby zu besuchen um abzunehmen, im Fokus sollte das persönliche Wohlgefühl stehen. Bewegung ist ein Garant für körperliches Wohlgefühl, nach einer Geburt ist vor allem Kräftigung, Beweglichmachung und Entspannung wichtig. Ausdauertraining ist das Sahnehäubchen, wichtiger für die beanspruchten knöchernen wie muskulären Strukturen und die Schwachstellen in der postnatalen Zeit sind kräftigende und mobilisierende Übungen, nur Cardio ist aber dafür nicht ausreichend.
Bei MamaWORKOUT legen wir den Schwerpunkt darauf, das körperliche Wohlgefühl durch Gymnastik zu steigern, gleichzeitig bringen wir den Frauen gesunde Alltagsverhaltensweisen bei und ein wichtiger Wohlfühlpunkt ist natürlich das Gruppenerlebnis mit anderen Müttern und Kindern. Die Gefahr bei hoch intensivem Sport, sei es HIIT oder Muskelausdauer, ist das es sehr die Körpermitte belastet, nicht nur muskulär sondern auch knöchern. Desto mehr Sport man macht, umso mehr Regeneration benötigt der Körper, intensive Sportarten erfordern mehr Schlaf, die Regeneration findet vorallem im Schlaf statt. Nun hat man als junge Mutter davon nicht unbedingt soviel. Durch hoch intensiven Sport benötigt man in der Regel eine Stunde mehr Schlaf. Schafft man das nicht, befindet man sich irgendwann in einer Energieabwärtsspirale und es ist kein Aufholen der Regeneration mehr möglich. Meistens führen die Frauen dies dann nicht auf den Sport zurück. Die Folgen davon können Krankheiten, Erkältungen und Depressionen sein.
Der Schwerpunkt im Konzept MamaWORKOUT liegt ganz klar auf Kräftigung. Ausdauer ist hier tatsächlich nur Sahnehäubchen. Die meisten Frauen gehen frühzeitig wieder Laufen, wissen jedoch nicht, das dies eine der belastensden Sportarten ist. Das Körpergewicht beim Laufen ist auf ein Dreifaches erhöht und wirkt so auf knöcherne Strukturen und die Körpermitte. Die Folge davon können sein:
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Blockaden im ISG
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Verspannungen im ISG
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Lendenwirbelsäule wird anfällig
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Hüftgelenksschmerzen, die spontan auftreten
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Symphysenprobleme
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Organsenkungen und Vorfälle
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Hämorrhoiden
Oftmals werden einige Probleme nicht aus dem Beckenboden erkannt, z.B Hüftgelenksschmerzen. Die Hüfte ist das erste Gelenk was als Hilfe zugezogen wird, wenn die Beckenbodenmuskulatur nicht mehr gut arbeiten kann, daher rühren hier oft Schmerzen.
Familienwiege: Wie berechne ich den Verbrauch an kcal pro Stunde Workout? Zb beim Walken mit Baby in der Trage vs. Kinderwagen, Stepaerobic, Tanz mit Baby?
Verena: Kalorienverbrauch beim Sport ist tatsächlich eine sehr individuelle Berechnung. Der eigene Stoffwechsel ist dabei ein entscheidender Faktor. Einigermaßen gut kann man dies mit einem sehr guten Fitnesstracker messen. Klar, bei einem leichten Zusatzgewicht wie mit Baby in der Trage verbrennt man vielleicht die eine oder andere kleine Kalorie mehr. Viel wichtiger als der Kalorienverbrauch ist aber der individuelle Wohlfühlfaktor. Ich bin selbst auch eitel, ganz klar und ich denke da sehr kritisch drüber. Ich habe meine eigene Einstellung zu einigen Dingen einfach überdacht, was ist für die Gesellschaft wichtig, was für mich. Früher z.B bin ich nie ungeschminkt aus dem Haus gegangen, jetzt ist dies kein Problem mehr. Männer z.B sind da auch ganz anders, die machen sich über solche Dinge gar keine Gedanken. Wir Frauen mäkeln lieber an uns rum und übersehen, was wir tolles in der Schwangerschaft und bei der Geburt geleistet haben, und was wir jetzt leisten, wenn wir stillen oder nachts aufstehen. Wir sollten uns selbst freundlich begegnen. Es liegt uns selbst in der Hand und nicht in der Werbung.
Familienwiege: Wieviel kcal sind machbar bei deinem Konzept, BBRPmitBaby damit es sicher bleibt und ich keine körperlichen Gefahren eingehe?
Verena: Dies ist nicht messbar. MamaWORKOUT geht nie an Belastungsgrenzen und stellt immer Schonung und Stabilisierung der Körpermitte in den Vordergrund. HIIT kommt nie darin vor. Daher ist der Kalorienverbrauch auch eher gering, ich schätze so bei 250-300kcal pro Stunde. Ich sage daher allen Frauen: Esst gesund, seid nicht der Mülleimer eurer Babys beim Essen, bewegt euch viel und gut. Wir haben die Möglichkeit dazu in Elternzeit viel umfangreicher als in anderen Lebensabschnitten, in denen wir die Tage im Büro verbringen. Walken reicht hier vollkommen aus, um keine körperlichen Risiken einzugehen.
Liebe Verena ich bedanke mich für dieses angenehme, aufschlussreiche Gespräch, bei dem wir beide viel Spaß hatten und gelacht haben.
Tags: Sport, MamaWORKOUT